Denn dem Hindelanger Leo Dorn gelang der Aufstieg auf den Hochvogel bei Schnee und Eis, bevor überhaupt die ersten Skiläufer im Allgäu gesichtet wurden. Ohne Eispickel und Steigeisen erreichte er den 2593 Meter hohen Gipfel. Dabei könnten auch heutzutage auf mancher Route bei ungünstigen Verhältnissen selbst im Sommer Steigeisen und Pickel durchaus schon mal eine Besteigung dieses Berges erheblich sicherer machen!
Es erscheint noch immer als eine kühne Idee, den Hochvogel schon damals im Winter angegangen zu sein, war doch die Ausrüstung sehr mangelhaft und die Kleidung im Grunde für solche Höhen bei eisigen Temperaturen gänzlich ungeeignet.
Darüber hinaus hatte man über das Winterbergsteigen kaum Erfahrungswerte, und es gab nur wenige Schutzhütten und brauchbare Wege. Auch über Schnee und Eis, also die Verhältnisse am Berg und wie man sich darauf einzustellen hatte, wusste man zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel. Dass der Hochvogel gleich zu den ersten Winterzielen im Allgäu gehören sollte, verdankt er wohl nicht zuletzt seinem Erscheinungsbild, entsprach er doch der Idealvorstellung eines Berges. Denn die ebenmäßige Schönheit, seine isolierte Position im Zackenmeer der Bergsilhouette und die Tatsache, dass er andere Gipfel überragt, speisten gewiss den Quell der Sehnsucht.
So hatte er zum Beispiel die Bauaufsicht bei der Errichtung des Prinz-LuitpoldHauses, und mit Thaddäus Blattner gelang ihm an der Höfats die erste Begehung des Nordgrats auf den Westgipfel und des Nordostgrats auf den zweiten Gipfel der Höfats.
Zurück zum Hochvogel. Die prachtvolle Kalkpyramide, bisweilen auch das Matterhorn des Allgäus genannt, soll angeblich bereits 1767 von einem Hirtenjungen bestiegen worden sein, und ungezählt sind die Gipfelstürmer, die sie im Laufe der Jahrzehnte erklommen haben.
Für alle, die ihn heute zum Ziel haben, ist das Prinz-Luitpold-Haus ein idealer Stützpunkt. In jedem Fall sollte man Bergerfahrung haben oder besser noch, sich von einem der Oberstdorfer Bergführer vertrauensvoll hinauf leiten lassen. So oder so wartet ein fantastischer Rundblick: Von der mächtigen Hornbachkette im Vordergrund, über Zugspitze, Parseierspitze, Stubaier und Ötztaler Berge bis zum Ortler verweilt das Auge immer wieder an markanten Erhebungen im Gipfelmeer. Und wer weiß, vielleicht mag der eine oder andere dann fühlen wie einst Hermann von Barth bei seiner legendären Biwaknacht auf dem Hochvogel: „Noch eine kurze Weile saß ich still beschaulich auf dem Gipfel. Der Sturmwind immer mächtiger sich erhebend, heulte und pfiff dazu gar wundersame Melodie. Dann wieder Stille – und ein leises Flüstern zittert durch den Raum …“