Die Überkletterung sämtlicher Türme des West-Nordwestgrates auf die 2553 Meter hohe Krottenspitze darf nach wie vor zu den schönsten Klettertouren des Allgäus gerechnet werden. Doch gehört der eindrucksvolle Kletterweg, den man hier auch „das Grätle“ nennt, auch heute noch zu den vergleichsweise selten begangenen Routen. Denn der markante Grat, der in seiner ganzen Pracht von der herrlich gelegenen Kemptner Hütte aus zu bewundern und dessen Einstieg in rund einer Stunde zu erreichen ist, bleibt eine lange, anspruchsvolle, anstrengende Angelegenheit für besonders trittsichere, orientierungsstarke und erfahrene Bergsteiger!
Im November 1902, als der Alpinismus noch in den Kinderschuhen steckte, wurde der Krottenspitzgrat erstmals begangen. Schon damals gab es jene Unentwegten, die genug Erfahrung und Können hatten, sich noch spät im Jahr auf eine große Tour zu wagen.
Adolf Schulze, der zu den bedeutendsten Erschließern beeindruckender Klettereien des Allgäus gezählt werden darf, und Dr. Karl Beindl gelang die erste Überschreitung des wilden, landschaftlich imposanten Grates auf die Krottenspitze. Und was war das für eine Tour! Rund 1,1 Kilometer, knapp 350 Höhenmeter und an die 30 Seillängen bis zum IV. Schwierigkeitsgrad waren zu klettern. Im Spätherbst, bei schon kurzen Tagen, fanden die beiden den Weg über die vielen Türme und Zacken des West-Nordwestgrates, kamen sogar ohne Biwak durch und schafften die Pioniertat in nur fünf Stunden. Ein Zeitfenster, in dem selbst heutige Kletterer die Tour kaum meistern können!
Die erste Winterbegehung gelang gut 36 Jahre später am 8. und 9. April 1939 durch die Herren Hahn, Käß und Blatz. Leider ist über die beteiligten Personen kaum etwas bekannt. Vermutet wird, es könnten in Sonthofen stationierte Soldaten gewesen sein oder auch Bergsteiger, die wegen der angespannten Lage 1939 „vor der Haustür“ nach Winterklettermöglichkeiten suchten.
Einer, der sich mit dem modernen Winterbergsteigen bestens auskennt, ist Ecke Frick, Bergführer und Leiter der Bergschule „Aktiv am Berg“ in Oberstdorf. „Es gibt auf jeden Fall interessante Wintertouren, die man im Umkreis von Oberstdorf machen kann. Die Kunden wollen dabei das Allgäu auf eine neue Weise kennen lernen oder solche Touren als Westalpentraining machen, wenn man im Sommer zu den Viertausendern möchte“, erklärt er. Beliebte Winter-Bergtouren, die die Bergschule gerne mit Gästen gehe, seien z.B. die Trettachspitze, der Hindelanger Klettersteig oder auch die Rubihorn-Nordwand.
„Letztere wird sogar erst im Winter attraktiv, denn im Sommer ist sie zu brüchig.“ Beim Hindelanger Klettersteig werde am Nebelhorngipfel gestartet. „Gut geeignet ist der Steig, weil man auch im Winter an den Seilen gut sichern kann“, weiß Frick. Doch all diese Touren hätten natürlich einen ernsten, alpinen Charakter, für die man stabiles Wetter und gute Bedingungen bräuchte. So rät Ecke Frick: „Wenn man im Umgang mit Steigeisen geübt, den Pickel handhaben und in Bergschuhen im II. und III. Schwierigkeitsgrad klettern kann, dann können das nette Touren werden.“
Wer selbst einmal den besonderen Reiz des Winterbergsteigens kennen lernen will, der wendet sich am besten an die Oberstdorfer Bergführer, um gut gesichert auf Tour zu gehen – es muss ja nicht gleich das „Grätle“ sein!